Last Update: 23.06.10 |
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DIE WAHRHEIT
über
STARTREKORDE
Brandaktuell rauscht es wieder durch alle Medien: Der Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs hat in Deutschland sämtliche Startrekorde gebrochen - und zwar mit exakt 2.666.776 Besuchern. Um in weihnachtlicher Stimmung zu verweilen, sage ich nur BAH, HUMBUG!
Bevor ich das Dickensche Zitat erkläre, muss ich etwas ausholen...
Seitdem die deutschen Filmverleiher 1987 dazu übergegangen sind, die wöchentlichen Einspielergebnisse und Besucherzahlen bekannt zu geben, war es Brauch, Besucherzahlen von Previews (früher Vor-Premieren) und Sneak Previews zuerst der Startwoche, später dem Startwochenende zuzuschlagen. Dagegen kann man auch nicht viel sagen, schließlich gilt dies ja für alle Filme - gleiches Recht für alle...
2003 geschah dann etwas sehr Ungewöhnliches. Der Verleih Buena Vista International startete Fluch der Karibik ganz offiziell an einem Dienstag (statt an einem Donnerstag) in allen Vorstellungen des Tages (also keine Previews). Das dicke Ende kam, als die offiziellen Besucherzahlen bekannt gegeben wurden. BVI meldete einen neuen Firmenrekord mit einem "Startwochenende" von 1.660.290 Besuchern und wies die Dienstag/Mittwoch-Zahlen nicht extra aus. Und was geschah? NICHTS!
- Die Fachpresse veröffentlichte diese Zahlen kritiklos (dieses "Wochenende" besteht ja immerhin aus sechs Tagen!)
- Die Konkurrenz-Verleiher inkl. des Verleiherverbandes protestierten nicht (in den USA hätte es schon Unterlassungsklagen gegeben!)
- ACNielsen EDI und Media Control, die als statistische Gralshüter hätten fungieren müssen, blieben ebenfalls untätig
Pikanterweise gab es von der Presse-Abteilung der BVI im Laufe der Startwoche Mitteilungen, dass Fluch der Karibik am Starttag 294.000 Besucher hatte (der beste Start einer Jerry Bruckheimer-Produktion) und in den ersten zwei Tagen von 467.000 Besuchern gesehen wurde. Da mir gerundete Zahlen nicht gut genug sind, habe ich mehrmals mit der BVI telefoniert, um in Erfahrung zu bringen, wie denn die genaue Summe lauten würde. Statt die 000 bei 467.000 auszubessern, wurde ich immer wieder auf das offizielle 1.660.290-Wochenende verwiesen. Übrigens, der BVI-Startrekord (Do.-So.) liegt nach wie vor bei Was Frauen wollen, der beste Bruckheimer-Start (Do.-So.) bei Armageddon...
Die Büchse der Pandora war geöffnet. Nur zwei Monate später feierte Matrix Revolutions an einem Mittwoch Premiere, Warner Bros. meldete ein Wochenende von 1.078.322 Besuchern und wies den Extra-Tag nicht extra aus (wenigstens gab es keinen Rekord zu vermelden).
Und letzte Woche eröffnete Der Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs ebenfalls an einem Mittwoch, das Startergebnis mit 2.666.776 Besuchern (in fünf Tagen) wird als bester Start aller Zeiten gefeiert, obwohl Harry Potter und der Stein der Weisen in nur vier Tagen 2.590.464 Besucher hatte und Harry Potter und die Kammer des Schreckens (2.489.952) ähnlich gut startete (auch bei WB hatte ich bislang keinen Erfolg, den Starttag/Mittwoch mit ca. 616.000 Besuchern näher zu bestimmen). Besonders traurig ist die Tatsache, dass der gleiche Verleih in den letzten beiden Jahren die Ergebnisse der Mittwochs-Starts der Herr der Ringe-Filme unaufgefordert mitteilte (425.966 und 613.462).
Aber es kommt noch besser: Es gab ja noch den Trilogy Tuesday, bei dem die ersten beiden Teile Die Gefährten und Die zwei Türme am Dienstag gezeigt wurden, gefolgt von der 0.00 Uhr-Premiere am Mittwoch von Die Rückkehr des Königs. Obwohl ca. 75 % (meine Schätzung) der Besucherzahlen der Wiederaufführungen am Trilogy Tuesday erzielt wurden (also in der Vorwoche), werden sie komplett dem nachfolgenden Wochenende zugeschrieben (305.949 bzw. 293.257) - dadurch befinden sich die Vorgänger in den Top Five statt in den Top Ten.
Welche Rekorde hat denn nun Der Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs gebrochen?
- breitester Start aller Zeiten mit 1.337 Kopien
- bester Starttag aller Zeiten mit 616.021 Besuchern
- bestes Dezember-Startwochenende (natürlich Do.-So.) mit 2.050.776 Besuchern (aber nicht bestes Dezember-Wochenende, da die ersten beiden Teile am zweiten Wochenende mit 2.082.263 und 2.071.465 Besuchern höhere Ergebnisse erzielt haben)
- drittbestes Startwochenende (Do.-So.) aller Zeiten
(natürlich kann man noch jede Menge weitere Rekorde konstruieren, z. B. "bester Start aller Zeiten eines dritten Teils" oder "bester Start aller Zeiten eines Films mit der Altersfreigabe ab 12 Jahren" oder "bester Start aller Zeiten eines Films mit einer Länge von über 200 Minuten" etc.)
Wie wird in den USA mit Vorstarts umgegangen? Da seit etwa sieben Jahren auch die täglichen Einspielergebnisse bekannt gegeben werden, ist dies kein Problem - eine Startwoche besteht immer aus sieben Tagen, egal wann sie beginnt.
Bei den Previews wird es etwas schwieriger: Previews, die um 0.00 Uhr stattfinden, gehören selbstverständlich zum Starttag. Aber bei manchen Filmen beginnen die ersten Vorstellungen schon um 23.00 Uhr oder 22.00 Uhr. Hier haben die US-Studios keine einheitliche Linie gefunden, manche Verleiher weisen diese Zahlen extra aus, manche nicht. Da ich die "ehrlichen" Studios nicht (mit niedrigeren Wochenend-Umsätzen) bestrafen möchte, weise ich diese Preview-Zahlen auf InsideKino grundsätzlich dem Start zu. Es gibt nur eine einzige Ausnahme: 1996 startete Independence Day schon um 17.00 Uhr (!) und spielte in den sogenannten "Previews" damals $11.024.456 ein (heute etwa $15 Mio. wert), hier handelt es sich meiner Meinung nach nicht mehr um Previews, sondern um einen Starttag.
Ansonsten sorgt in den USA die Ticketpreis-Inflation - und nicht immer länger werdende Wochenenden - für neue Rekorde.
Und wenn ich schon dabei bin:
Liebe Filmverleiher,
- einigt Euch doch bitte auf ein paar Box Office-Regeln, die für alle verbindlich gelten (z.B. Wochenende = Do.-So.)
- bleibt ehrlich und genau, toleriert nicht, dass ein US-Major, dessen Namen ich nicht nennen will, immer wieder (bis zu 10 %) höhere Besucherzahlen bei laufenden Filmen angibt, als später der FFA gemeldet werden
- wieso habt Ihr (zusammen mit den Kinobesitzern) den offiziellen Starttag Mitte der 80er Jahre von Freitag auf den Donnerstag vorverlegt? Heutzutage ist doch sowieso fast jeder Film schon am Mittwoch um 20.00 Uhr zu sehen...
Euer Mark G.
Eure Meinungen:
Angelo R.:
hi mark, ich fand den neuen "wahrheit" -
Artikel sehr informativ und er spricht mir auch aus dem Herzen. Mich nervt es
ganz grundsätzlich seit geraumer Zeit, dass in Deutschland bei den
Besucherzahlen grundsätzlich überhaupt nicht differenziert wird. Ebenso nervt
mich der Mangel an Informationen über Zuschauerzahlen, den du ansprichst.
Übrigens ist es bei den Plattenverkäufen (für die ich mich auch interessiere),
genau dasselbe. Bekommt ein Album Platin, heißt es sofort es wurden bereits
300.000 Alben verkauft, obwohl dies nur bedeutet dass 300.000 Alben an den
Handel ausgeliefert wurden.
Ich bezeichne das immer als "fehlende Chartskultur" in Deutschland. Es gibt
leider auch wesentlich weniger Leute, die sich für Box Office interessieren als
in den USA. Vielleicht wird deswegen soviel in den Medien protestlos übernommen,
da sich kaum jemand mit Box Office befasst oder sich dafür interessiert. Aber da
habe ich schon resigniert, glaube nicht dass sich da noch was ändert.
Zwei Fragen noch: Du stellst die Frage, warum der Starttag auf Donnerstag gelegt
wurde. Das habe ich mich auch schon öfter gefragt. Gab es dafür keine
Begründung? Und warum ist Fluch der Karibik eigentlich an einem Dienstag
gestartet?
Frohe Weihnachten
Mark G.:
1. Offiziell hieß es damals (ich glaube im August 1985 war der Wechsel), dass man mehr Präsenz in den Printmedien (sprich gute Kritiken) zum Wochenende haben wollte und die Mundpropaganda zum Samstag/Sonntag steigern wollte. Außerdem gab es den positiven Nebeneffekt, dass die Disposition für die nächste Spielwoche bei den Verleihern und den Kinobetreibern auf den Montag beschränkt wurde, früher hieß es von Seiten der Verleiher (ob ein Film weitergespielt wird oder nicht) auch schon mal "warten wir noch die Montagszahlen ab"... Heute steht der Spielplan ab Donnerstag am Montag Nachmittag fest.
2. Natürlich kenne ich nicht die Beweggründe von Buena Vista, aber erstens muss man immer wieder mal was neues ausprobieren und zweitens wollte der Verleih wahrscheinlich noch zwei zusätzliche Sommerferientage mitnehmen...
3. Ich wollte mit meiner Starttag-Bemerkung eigentlich nur die Sinnlosigkeit von Mittwoch-Abend-Previews zur Schau stellen. Wenn (fast) jeder Film schon am Mittwoch zu sehen ist, dann kann man ja gleich den Mittwoch zum offiziellen Starttag machen...
Klaus K.: Die Amis nahmen es noch nie genau!
Vielen Dank Mark. Mit Deinem Hintergrundwissen
sehe ich die ganzen Zahlen jetzt auch etwas anders. Und so traurig dieser
gegenseitige "Beschiss" der Filmverleiher auch ist, wundern tut es mich ehrlich
gesagt nicht. Die Amis haben es schon immer nur dann genau genommen, wenn es zu
Ihrem Vorteil ist, egal in welchem Bereich. Und dass die anderen den Beschiss
nicht verurteilen und öffentlich machen, passt gut zur in den USA
weitverbreiteten Einstellung: "Wozu braucht man Regeln, wenn man besser
bescheisst als die Konkurrenz". So sehr ich das Land, die Filme und vieles
andere von drüben auch liebe. Es ist immer wieder erschreckend welch ein
Potenzial an Dummheit und Ignoranz die Amis hervorbringen!
Noch frohe Festtage und ein gesundes und erfolgreiches 2004
Mark G.:
Hier muss ich die Amis aber ein wenig verteidigen.
1. WB und BVI und der US-Major, dessen Namen ich nicht nennen will, sind zwar Tochterfirmen amerikanischer Studios, die Verantwortlichen sind aber allesamt Deutsche, und ich bin davon überzeugt, dass kein Ami ihnen die Anweisung gegeben hat, die Zahlen nach oben zu schönen.
2. Wie ich schon in dem Artikel geschrieben habe, wären solche Verhältnisse in den USA erst gar nicht möglich, da die Studios sich gegenseitig belauern und aufpassen, dass man bei der Wahrheit bleibt. Seitdem ich die B.O.-Zahlen verfolge (seit 1983), gab es nur wenige Fälle, in denen ein Studio übertrieben hatte. Sofort meldete sich die Konkurrenz zu Wort und das Münchhausen-Studio musste eine peinliche Situation aus der Welt schaffen. In Amerika würde es also niemals möglich sein, den Dienstag und den Mittwoch einfach dem Wochenende zuzuschlagen (das gibt es nur bei uns in Deutschland!).
Volker:
Hallo, Ihren Artikel "DIE WAHRHEIT über
STARTREKORDE" finde ich sehr gut! Ich sehe das genauso! Ich glaube, dass es in
den USA trotz allem noch mit einer gewissen Logik abläuft. In Deutschland ist
aber in dieser Hinsicht wirkliches Chaos. Ich denke, das begann im Dezember
2001, als der erste "Herr der Ringe" anlief und die vorläufige Krönung ist
natürlich 2003.
Dazu etwas aus dem Jahre 2000:
Eines der Highlights (wenn auch nicht für mich) war in dem Jahr Scream 3.
Offizieller Start war am 22.6.2000. Sceam 3 erreichte am offiziellen
Startwochenende (also vom 22.6.-25.6.00) laut meiner damaligen Quelle (das
Kinomagazin "CinemaxX TV" auf ProSieben mit den Media-Contol-Zahlen) 617.505
Besucher. Der Film tauchte allerdings schon eine Woche vorher auf Platz 3 der
Wochenend-Charts vom 15.6.-18.6.00 mit 131.554 Besuchern auf. In der besagten
Sendung wurde glücklicherweise erwähnt, dass es sich hierbei nur um
Preview-Zahlen handelt. Abgesehen davon, dass man bei 450 Kopien wohl nur schwer
von einer einfachen Preview (sie erwähnten in ähnlichem Zusammenhang "Independece
Day") sprechen kann, fand ich es gut, dass die Hintergründe offengelegt wurden
und die Zahlen nicht einfach eine Woche später zu den 600.000 vom "richtigen"
Wochenende addiert wurden.
Wurde dies eigentlich auch überall so gehandhabt oder tauchten irgendwo Berichte
von einem 750.000-Besucher-Startwochenende auf?
Seit dem gab es komischerweise keinen derartigen Preview-Erfolg an einem
Wochenende vor dem offiziellen Startwochenende mehr. Oder werden jetzt etwa alle
Preview-Zahlen, d.h. auch die von einem ganz anderen Wochenende, zum offiziellen
Startwochenende hinzuaddiert. Oder war dies schon immer der Fall und nur bei
Scream 3 kam die Wahrheit ans Licht?
In Bezug auf den grandiosen, neuerlichen Chart-Erfolg der "Herr der Ringe"-Filme
1 und 2 würde ich Sie bitten, mir, sobald Sie die wahren Wochenendzahlen vom
18.12.-21.12. haben, mir diese zu mailen. Ich denke auch, dass 3/4 der jeweils
gut 300.000 Besucher auf den Dienstag entfallen.
Nun noch etwas ganz anderes:
Mich würde auch interessieren wie man den Wiedereinstieg der Teile 1 und 2 in
die Charts eigentlich werten soll. Ist dies eine offizielle
Wiederaufführung wie dies 2002 z.B. mit E.T. oder 1998 mit Grease der Fall war
oder nur ein extremer Anstieg der Besucherzahl in Woche 105 bzw. 53 (aber dies
würde doch bedeuten, dass er bis jetzt ununterbrochen im Kino lief; siehe untere
Frage)?
Dazu mal etwas Grundsätzliches: Ab wann kann man eigentlich sagen, ein Film
läuft nicht mehr im Kino? Doch nicht erst, wenn er auf keiner einzigen Leinwand
mehr läuft, denn dies würde ja unter Umständen Jahre dauern?
Bin sehr gespannt auf Ihre Antwort. Gruß
Mark G:
1. Während es heute hauptsächlich Sneak Previews (also Previews mit unbekanntem Filmtitel) und die Vorabend-Previews am Mittwoch gibt, waren früher die Vorpremieren am Wochenende davor (Freitag und/oder Samstag) auch in Hunderten von Kinos gang und gäbe. Tatsächlich war der Kinowelt-Verleih der einzige Verleih, der die Preview-Zahlen für einige Zeit extra ausgewiesen hatte, also auch für Scream 3. Nachdem alle anderen Verleiher grundsätzlich die Preview-Zahlen dem Startwochenende zurechnen (später auch die Kinowelt), habe ich bei den wenigen KW-Fällen die Previews zum Startwochenende hinzugezählt (z.B. am 22.6.2000), schließlich will ich das "ehrliche" Studio nicht mit einer niedrigeren Chartposition oder einem verpassten Rekord "bestrafen". Ich habe damit auch kein Problem (s.o.), da hier ja gleiches Recht für alle gilt. Dies betrifft natürlich nur Previews und nicht vorgezogene Starttage!
2. Ich fürchte, dass die echten Triple-Feature Herr der Ringe 1 & 2-Zahlen wohl nie aufgedeckt werden...
3. Ich werte dies nicht als offizielle WA, da die Filme jederzeit gespielt werden konnten und auch gespielt wurden. In den Fällen von E.T., Star Wars, Grease oder Der Exorzist handelt es sich um Filme, deren Lizenz zum Teil ausgelaufen war (so hat z.B. LucasFilm schon viele Jahre vor den Special Editions die Aufführung der ersten drei Star Wars-Filme untersagt) oder um neue oder restaurierte Fassungen, diese Filme sind also offizielle WAs.
Wenn die Lizenz nicht
ausgelaufen ist und Filmkopien vorhanden sind (die meisten Filmkopien werden
wegen der zu hohen Lagerkosten vernichtet), kann jeder Kinobesitzer jeden Film -
auch Jahre nach Start - ins Programm nehmen. Natürlich lohnt sich dies nur noch
in ganz wenigen Fällen (wegen Video, DVD, TV etc.) und die Besucherzahlen dieser
Filme werden natürlich nicht mehr aktualisiert. Das Gleiche gilt auch für die
USA, die meisten Filme haben ein höheres Box Office als tatsächlich angegeben.
Es wäre aber für die Studios viel zu teuer, das Box Office für jeden Film immer
wieder zu aktualisieren...
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