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PI-JAYs FAZIT - DAS KINOJAHR 2011 |
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2011 war ein seltsames Jahr:
Irgendwie habe ich das Gefühl, ich müsste vor allem über die Filme
schreiben, die ich nicht gesehen habe, nicht nur, weil ihre Anzahl die
der gesehenen Produktionen weit übersteigt, sondern vor allem, weil
darunter jede Menge Streifen sind, die ich mir ursprünglich anschauen
wollte, auf die ich aber dann ganz bewusst verzichtet habe. Rund 40
Filme habe ich auf der großen Leinwand gesehen, sehr viele davon im
Rahmen der Münchener Filmwoche, der CinemaCon oder auf
Pressevorführungen. Ich stelle aber fest, dass ich nur selten privat ins
Kino gegangen bin, und frage mich, warum? Bin ich am Ende kinomüde
geworden? Das vergangene Jahr war ein Scheinriese: Am Anfang sah
das Filmangebot noch gut aus, aber je weiter 2011 fortschritt, desto
mickriger kam es einem vor. Das liegt vor allem daran, dass ich mich auf
viele Oscar-Kandidaten gefreut hatte, die bereits im Januar, Februar
liefen, aber es gab auch Filme wie
Wasser für die Elefanten, die ich gerne sehen wollte, auf die ich
dann aber wegen ihrer schwachen Kritiken verzichtet habe. Manche
Streifen wie Cowboys und Aliens,
auf die ich lange heiß war und die ich trotz schlechter Kritiken
angesehen habe, waren dann tatsächlich enttäuschend. Rückblickend
betrachtet, habe ich allerdings nicht das Gefühl, etwas verpasst zu
haben. Tree of Life hätte ich
wegen seiner schönen Bilder gerne auf der großen Leinwand gesehen, aber
sonst? 2011 war beileibe kein schlechtes Jahr, es gab eine
Menge guter Filme zu entdecken, auch wenn die großen Überraschungen
ausblieben. Black Swan und
The King’s Speech waren wunderbare Arthousefilme, und auch der
Mainstream hatte mit X-Men – Erste
Entscheidung, Planet der Affen
- Prevolution oder Super 8
ein paar Highlights zu verbuchen. Es war vor allem die Mittelware, die
mich kaum interessiert hat, all die Filme, von denen man hofft, dass sie
„nur“ ganz unterhaltsam sind. Beispiele?
Kokowäh: der typische Til-Schweiger-Film, kennste einen, kennste
alle. Die Schlümpfe fand ich
schon als Kind nervig. Von Bad
Teacher oder Kill the Boss
hat mir jeder abgeraten. Bei What
a Man, Gullivers Reisen, The Green
Hornet und vielen anderen mochte ich schon die Trailer und
Ausschnitte nicht. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, und jedes
Mal kam ich zu dem Schluss, dass ich weder die Energie noch die Mittel
aufbringen wollte, um ins Kino zu gehen. Also doch kinomüde? Und liegt
es an mir, an den Filmen oder an den Kinos? Die Antwort ist –
kompliziert. Das Kino hat viel Konkurrenz: Das Internet,
Computerspiele, sportliche Aktivitäten, Treffen mit Freunden, Fernsehen
etc. – es gibt so viele Möglichkeiten, seine Freizeit zu verbringen, da
ist der Kinobesuch nur noch eine von vielen. Außerdem wird die Qualität
von Spielen und TV-Serien immer besser. Serien wie etwa
Boardwalk Empire oder
Game of Thrones waren
aufregender als die meisten Kinoproduktionen. Wenn ich einen Film unbedingt sehen will, gehe ich
auch ins Kino. Black Swan z.
B. entfaltet auf einer großen Leinwand eine ganz andere Wucht als auf
dem Bildschirm, und Komödien sind mit Publikum sowieso viel, viel
lustiger. Es gibt sie noch, die Magie der großen Leinwand, aber sie ist
seltener geworden und beileibe nicht selbstverständlich. Das liegt teils
an der mangelnden Qualität einiger großer Produktionen, teils an den
fehlenden Stars. Welcher Schauspieler hat noch die Macht, „sein“
Publikum unter allen Umständen in die Kinos zu locken? Ein Problem stellen auch die Unmengen an Sequels da.
Ich habe nichts gegen Fortsetzungen, wenn sie mich noch einmal so
begeistern können wie das Original, aber welcher dritte, vierte oder gar
fünfte Teil schafft das schon? All zu oft hat man das Gefühl, nur
Variationen des Immergleichen vorgesetzt zu bekommen, und wenn die
anderen Teile dann auch noch ständig im Fernsehen laufen, geht die
Exklusivität endgültig den Bach runter. Bei
Pirates of the Caribean – Fremde
Gezeiten, Hangover 2 oder
Fast & Furious Five hatte ich das Gefühl, absolut nichts zu
verpassen, wenn ich sie nicht im Kino, sondern irgendwann einmal im
Fernsehen oder auf DVD anschaue. Ich kann mein Geld auch nur einmal ausgeben, und
angesichts vielfältiger Interessen und Möglichkeiten muss ich mich
entscheiden, ob mir der jeweilige Film das wirklich wert ist. Wenn ich
eine Produktion unbedingt sehen will, ist das gar keine Frage, aber es
gibt ja nicht nur Kinohighlights, sondern eben vor allem viel
Mittelware, grundsolide Filme, die in erster Linie Spaß machen, aber
leider nichts Besonderes sind. Kino ist nicht gerade ein billiges Vergnügen. Wenn ich
mir die Preistabelle meines heimischen Multiplexes anschaue, zahle ich
am Wochenende 8,50 Euro für einen Logenplatz. Das ist nicht viel teurer
als andere Freizeitvergnügen. Aber schon bei 3-D-Produktionen sieht es
ganz anders aus: 11,50 Euro kostet die Karte an jedem Tag der Woche,
nachmittags und abends und egal, wo ich sitzen möchte. Kaufe ich mir
noch Knabbereien und Getränke, kommt einiges dazu. Manchmal noch einmal
so viel, wie man für den Eintritt bezahlt hat, was dazu führt, dass
einem der Appetit schlagartig vergeht und man gerne auf die schlanke
Linie achtet. Bei einem Film, den ich unbedingt sehen will, bin ich
gerne bereit, so tief in die Tasche zu greifen, da gönnt man sich eben
mal was Besonderes. Aber warum soll ich so viel Geld für einen
mittelprächtigen Film ausgeben, der für weniger Geld in vier Monaten
sowieso auf DVD zu haben ist? Ich gehe ja auch nicht jede Woche ins
Theater. Für leidenschaftliche Kinogänger gab es früher zwei
Kinotage mit ermäßigten Preisen. Da schaute man sich auch schon mal
einen Film an, von dem man nicht wirklich überzeugt war – und erlebte
vielleicht eine positive Überraschung. Mein Multiplex hat einen der
beiden Kinotag inzwischen abgeschafft, und der Preis am verbliebenen Tag
ist gerade mal 50 Cent niedriger als an den anderen Wochentagen und 1,50
Euro niedriger als am Wochenende. Das schafft keinerlei Anreize, öfter
ins Kino zu gehen. Und für 3-D-Filme gilt die Ermäßigung sowieso nicht. Und dann der Überlängenzuschlag. Bei Laufzeiten von
über 150 Minuten kann ich es noch nachvollziehen, einen Euro mehr zu
zahlen, weil das Kino weniger Vorstellungen einplanen kann. Aber heute
sind ja schon manche Komödien länger als zwei Stunden, und dafür gleich
einen Euro mehr berappen? Zumal es für Filme, die weniger als 90 Minuten
dauern, ja auch keinen Unterlängenabschlag gibt… Jede Woche starten mindestens ein, zwei neue Filme,
und gerade bei der Mittelware neigt man schon mal dazu zu sagen: Ach, im
Moment hab ich keine Zeit, aber vielleicht nächste Woche. Nur sind die
Produktionen dann oft schon wieder verschwunden. Kein Wunder, wenn jede
Menge neue Filme nachdrängen. Leider schafft es kein kleiner Film in
dieser Zeit, eine gute Mundpropaganda aufzubauen, manche Perlen der
Filmkunst bleiben so schlichtweg unentdeckt. Am liebsten gehe ich nachmittags ins Kino, aber viele
Filme laufen, wenn überhaupt, nur eine Woche lang vor 18 Uhr. Ich kann
gar nicht mehr zählen, wie oft ich mir einen Film ansehen wollte, aber
allein aus dem Grund nicht gegangen bin, weil er mir nicht so wichtig
war, dass ich die Unbequemlichkeiten des öffentlichen Nahverkehrs in
Kauf nehmen wollte, um eine Abend- oder Spätvorstellung zu besuchen.
Aber ich bin ja selber schuld, warum wohne ich nicht mitten in der
Großstadt… Manche Multiplexe kommen inzwischen auch in die Jahre.
Oft genug saß ich in einem Sessel, der klebrig war, beschädigt oder – am
schlimmsten – nach verschüttetem Bier gestunken hat. Nicht gerade
erfreulich. Ungeheuer nervig sind zudem die Pausen während der
überlangen Filme, bei Laufzeiten von über 180 Minuten vielleicht noch
verständlich, aber mal ehrlich: Muss das wirklich noch sein? Am schlimmsten ist jedoch die Werbung. Wenn ich schon
viel Geld ausgebe, um mir einen Film anzuschauen, will ich nicht noch
mit Werbespots belästigt werden. Und dass neuerdings sogar Werbung den
Trailerblock unterbricht oder in der Pause eines Films läuft, ist
schlichtweg eine Unverschämtheit. Dann kann ich ja gleich zu Hause
bleiben und fernsehen. Vielleicht stehe ich mit meiner Einschätzung
weitgehend alleine da, aber wenn ich mir die Besucherzahlen anschaue,
die nur geringfügig besser sind als im „Katastrophenjahr“ 2010, denke
ich, dass wirklich einiges im Argen liegt. Andere Gründe, die zu diesem
Ergebnis geführt haben, wurden noch gar nicht erwähnt, etwa der
Filmdiebstahl im Internet oder die Schwierigkeit, in Deutschland einen
Film zu produzieren. Was dem deutschen Film und damit dem Kinomarkt
dringend fehlt, ist mehr Vielfalt. Nicht nur Berliner Schule, Filme mit
sozialer und politischer Relevanz für die Festivals sowie ein paar
Alibi-Komödien (um zu beweisen, dass wir Deutschen nicht ganz der
humorlose Haufen sind, für den uns der Rest der Welt immer noch hält),
sondern richtiges Genrekino. Dazu braucht es mutige Produzenten, von
denen es leider viel zu wenige gibt und die oft genug an den schier
unüberwindlichen Hürden scheitern, die der öffentlichen Filmförderung
vorausgehen. Wenn es selbst gestandenen Produzenten oder
renommierten Regisseuren nicht gelingt, einen Film finanziert zu
bekommen, weil sich entweder die Förderanstalten oder die Fernsehsender
quer legen, liegt das nicht zwangsläufig an der mangelnden Qualität des
Stoffes. Fakt ist, dass reine Genrefilme hierzulande geradezu verpönt
sind, nicht unbedingt bei den Produzenten, sondern in erster Linie bei
den (öffentlich-rechtlichen) Fernsehsendern. Wie soll man aber frei und kreativ arbeiten, mit den
Regeln spielen, sie bisweilen brechen und künstlerisch neue Wege
beschreiten, wenn man vom Wohlwollen von Gremien abhängig ist, die ihre
eigenen, mitunter recht eigentümlichen Vorstellungen von Filmkunst
durchsetzen wollen, oder von Redakteuren, die Sozialpädagogik oder
Germanistik studiert haben, aber keine Ahnung von filmischer Dramaturgie
besitzen? Kreativität kann in diesem System nicht gedeihen, und
bestimmte Formate und Ideen werden gar nicht mehr entwickelt, weil man
von vornherein weiß, dass sie man nicht finanziert bekommt. Was am Ende herauskommt, ist immer der kleinste,
gemeinsame Nenner oder der peinliche Versuch, einen Stoff zu finden, von
dem man hofft, damit den Geschmack der Entscheider zu treffen. Mitunter
kommt es mir so vor, als würden viele, wenn nicht die meisten Filme in
diesem Land eher für Redakteure und Filmförderer gemacht werden als für
das Publikum. Kein Wunder, dass sich viele Produzenten in den
unverfänglichen Kinder- und Jugendfilm flüchten oder anspruchsvolle
Literatur auf die große Leinwand bringen, die als kulturell wertvoll und
damit als förderwürdig gilt. Wir waren früher mal eine große, europäische
Filmnation, aber das ist lange her, und solange es keine grundlegenden
strukturellen Änderungen gibt, werden wir es nie wieder werden. Wen
wundert es also, dass unsere kreativsten Regisseure alle in die USA
auswandern? An den höheren Gagen und den aufwendigeren Filmen allein
kann es nicht liegen. Aber Änderungen wird es nicht geben, denn das
würde bedeuten, den übermächtigen Einfluss der Fernsehsender
einzuschränken, ohne die (fast) kein Film in die Kinos kommt. Und wer
sollte hierzulande diesen Reformwillen aufbringen? Im Grunde ist es eine absurde Situation, wenn man sich zwei Dinge vor Augen führt: Die Sender bestimmen maßgeblich das Angebot eines ihrer größten Konkurrenten um die Gunst des Zuschauers. Und wenn sie dann einmal Filme, deren Produktion sie ja unterstützt und gefördert haben, ausstrahlen sollen, versenden sie diese z. T. im Spätprogramm. Unlängst lief zum Beispiel Hilde als Free-TV-Premiere um 22:40 Uhr. Da sieht man, welchen Stellenwert das deutsche Kino im Fernsehen hat. Oder, wenn ich einmal polemisch sein darf: Anscheinend darf das deutsche Kino nicht besser werden als das Fernsehen…
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