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Pi-Jays MARK G. & PI-JAY IN DER GOLDENEN STADT |
Mark G. organisiert gerade in seiner ohnehin knapp
bemessenen Freizeit ein großes Treffen seiner weitverzweigten Familie in
Prag, der Heimat des ältesten, bekannten, gemeinsamen Vorfahren. Aus
diesem Grund musste er mit seinem Vater für einige Tage in die
tschechische Hauptstadt reisen, und weil das Hotel, in dem das
Familientreffen stattfinden wird, ihm extrem günstige Konditionen
angeboten hat, habe ich mich kurzerhand angeschlossen. Ein paar Tage
Prag im Frühling kann man ja schließlich immer gebrauchen… Leider hat der Frühling in der Goldenen Stadt wie
auch in Deutschland ein bisschen Verspätung. Es war zwar nicht mehr
winterlich kalt, aber doch nicht gerade einladend, um auf den Boulevards
zu flanieren oder ein Eis zu essen, mit einem Schal und einem Schirm
gegen die kurzen Nieselschauer war es jedoch akzeptabel. Und hin und
wieder kam sogar die Sonne raus. Der erste Tag bestand zur Hälfte aus der Anreise.
Unser Hotel lag auf der „kleinen Seite“ der Stadt, links der Moldau, nur
eine halbe Stunde Fußweg von der Karlsbrücke entfernt und
verkehrstechnisch gut angebunden, wie es in den Prospekten gerne heißt.
Ruhig war es dennoch, denn das Vier-Sterne-Hotel verfügt über eine
Besonderheit: Es besteht aus zwei Gebäuden, eines unten im Tal, das
andere in einem Park auf dem Berg gelegen. Wir residierten oben, konnten
Karel Gott, der gleich nebenan wohnte, praktisch auf die Terrasse
spucken und die Aussicht über die Stadt genießen. Erreicht wurde das
obere Gebäude durch eine Seilbahn, ähnlich jener, die man sonst aus den
Alpen kennt (allerdings befand sich das Seil in einer Trasse am Boden).
Schon die Fahrt zum Zimmer verbreitete also ein gewisses Urlaubsfeeling.
Wenn man ins Tal hinabfuhr, war es ein bisschen wie in einer Achterbahn
– der langsamsten Achterbahn der Welt allerdings… Obwohl nur etwa zehn Jahre alt, besaß das Hotel eine
fast schon nostalgische 80er-Jahre-Atmosphäre, die Möbel, die Farben und
sogar die psychedelischen Teppich-Muster, die zuckenden Laserstrahlen
ähnelten, weckten Erinnerungen an meine Jugend und die letzte Reise nach
Prag Anfang der Neunziger. Damals war alles noch grau und schwarz,
besonders die Fassaden wirkten wie aus einem Horrorfilm und sorgten bei
der Betrachtung für Depressionen. Inzwischen ist die Stadt jedoch von
Grund auf saniert und präsentiert sich von der schönsten Seite. Beim
Spaziergang durch manche Viertel fühlt man sich an Paris erinnert, und
es ist erstaunlich, wie viel alte Bausubstanz erhalten geblieben ist. Um uns einzugewöhnen, unternahmen wir eine kleine
Runde vom Hotel zur Karlsbrücke und durch die Altstadt zum Wenzelsplatz.
Als eines der bekanntesten Touristenziele bekommt man auf der Brücke
kaum einen Fuß auf die Erde, schön ist es aber trotzdem. Wie vor zwanzig
Jahren stehen an den Seiten die Maler, um ihre Kitschbilder und
Karikaturen an den Mann bzw. die Frau zu bringen (wobei wir von einem
befreundeten Prager Künstler erfahren haben, dass die Mafia diese
Geschäfte inzwischen kontrolliert). Auch die Altstadt verwandelt sich
mehr und mehr in ein touristisches Einkaufsland mit Andenkenläden und
Restaurants wohin man sieht. Das romantische Flair ist hingegen umsonst. Am Wenzelsplatz wie auch in den Shoppingmalls sieht
man dieselben Ketten wie auch in Deutschland (und dem Rest Europas),
dazwischen gibt es aber noch einige kleine Geschäfte mit heimischen,
sehr schönen Produkten – und einige haben sich zu einer eigenen Kette
namens Manufaktur zusammengeschlossen. Hier findet man Holzspielzeug,
Glas und netten Krimskrams, aber auch Kosmetika (aus Bier zum Beispiel),
also viele Dinge, für die Tschechien berühmt ist. Berühmt ist natürlich auch die heimische Küche mit
ihren Braten und Knödeln, sehr deftig, sehr lecker und nichts für
Vegetarier oder Menschen, die gerade eine Diät machen. Die Preise sind
für unsere Geldbeutel immer noch moderat, ein Drei-Gänge-Menü für sechs
Euro ist keine Seltenheit, und selbst in unserem Hotel mit seinem
Sternkoch hat es mittags nur das Doppelte gekostet. Am ersten Abend waren wir in einer kleinen
Gaststätte, die uns von einem Einheimischen empfohlen wurde und in der
wir die einzigen Ausländer waren. An die Nationalspeise (Rind mit Sahne
und Knödeln) hab ich mich nicht rangetraut, weil es mich zu sehr an
Tafelspitz erinnerte, den ich nicht mag, aber meine Schweinerei war auch
extrem lecker. Der einzige Nachteil ist, dass es noch in diesem Jahr in
manchen Restaurants erlaubt ist zu rauchen. Unser Rauchverbot liegt ja
nun nicht so lange zurück, dennoch hat man sich inzwischen so daran
gewöhnt, dass man den Rauch als störend empfindet. Danach hätten wir eigentlich im Dauerlauf zum Hotel
zurückkehren müssen, waren aber zu satt und zu träge und wählten die
U-Bahn. Als „Geschenk“ des sowjetischen Brudervolkes war die U-Bahn von
vornherein als potentieller Atombunker vorgesehen und entsprechend weit
unterhalb der Erdoberfläche angelegt worden. Die Rolltreppen scheinen
endlos zu sein und fahren mindestens doppelt so schnell wie in
Deutschland. Trotzdem dauert es ewig, bis man kurz vor Australien dann
doch endlich den Boden erreicht. Übrigens gibt es wie in den
italienischen Museen beim öffentlichen Nahverkehr eine unschöne
Altersdiskriminierung: Nur Menschen unter Siebzig müssen zahlen. Der zweite Tag war mit zahlreichen Meetings
angefüllt, die bis in den Nachmittag hinein andauerten. Leider konnte
ich kein Wort verstehen, da ich kein Tschechisch spreche, habe aber in
den vergangenen Tagen mein Vokabular verdreifacht (von zwei auf sechs
Wörter) und kann sogar ansatzweise fluchen. Man weiß ja nie, wozu es mal
gut ist. Die Leute sind aber alle sehr freundlich, und viele sprechen
auch Deutsch. Vor allem in der Gastronomie gibt es kaum
Verständigungsprobleme. Unser Mittagessen im Hotel war vorzüglich, aber auch
sehr übersichtlich: Die Brennnesselsuppe mit Speck-Espuma hat so gesund
geschmeckt, dass man guten Gewissens die restlichen Tage Braten mit
Knödel futtern durfte. Diesmal gab es jedoch Lammkeule und als Dessert
Mango-Panna-Cotta. Wirklich satt war man angesichts der Mengen zwar
nicht, doch das Hotel verfügt über ein ausgezeichnetes Frühstücksbüffet,
das kaum einen Wunsch offen lässt. Leider verführt das auch zum
Schlemmen… Am Nachmittag fuhren wir mit der Straßenbahn zum
Hradschin, um die Burg und den Dom zu besichten, waren allerdings zu
spät dran und standen bei den meisten Gebäuden vor verschlossener Tür.
Der Spaziergang zum Wenzelsplatz machte jedoch wieder Appetit, so dass
wir uns zu einem weiteren, diesmal ganz klassischen Drei-Gänge-Menü
niederließen: Knoblauchsuppe, Gulasch und Apfelstrudel, allerdings auch
in kleinen Portionen, sonst hätte ich nicht mehr durch die Tür gepasst.
Mark G. tat sich an gebackener Ente und Palatschinken gütlich. Wieder ging es mit der U-Bahn zurück, wieder machten
die Rolltreppen mir Angst. Fasziniert beobachteten wir einen Mann mit
Krücken, der geschickt aufsprang und wie eine Rakete nach oben befördert
wurde, ein asiatisches Pärchen kreischte jedoch erschrocken auf. Da wird
der öffentliche Nahverkehr direkt zu einem Abenteuer… Der dritte Tag begann wieder mit einem gemütlichen
Frühstück. Anschließend brachen wir zu einer Sightseeing-Tour auf, die
nur wenige Straßen hinter unserem Hotel endete, als wir auf einem
Wochenmarkt landeten und die Auslagen bestaunten. Es gab so viele
interessante Gewürze, Knödel und Delikatessen anzuschauen, die sofort
Lust aufs Probieren und Kochen machten, dass wir eine ganze Weile
herumtrödelten, ein paar Tassen von einer sehr netten Töpferin sowie ein
riesiges Glas Honig von einem lokalen Imker kauften und wieder zurück
ins Hotel mussten, um die Einkäufe abzustellen. Leider war der Spaziergang danach weniger angenehm.
Die Tour stand im Reiseführer und sollte an einige interessante
historische Punkte der Stadt vorbeiführen, von denen man dann leider
nicht viel gesehen hat. Stattdessen liefen wir an hohen Mauern vorbei
und stolperten über Baustellen. Als ausgesprochen nervig empfand ich die
Sirenen der Polizei und Feuerwehr, die genau wie die ihrer US-Kollegen
klingen, so dass man mit geschlossenen Augen unmöglich sagen kann, ob
man sich in Prag oder New York befindet. Wobei man in New York viel
weniger Sirenen hört. Da Prag, genau wie Wien, auch für seine Kaffeehäuser
berühmt ist, kehrten wir auf dem Heimweg noch im Café Louvre ein, das
seit über hundert Jahren existiert und in dem schon Einstein und Kafka
ihren Kuchen aßen. Bei einem Stück Himbeer- bzw. Käsesahnetorte sah die
Welt schon wieder ganz anders aus. Unfreiwilligerweise mussten wir dann
zum Hotel laufen, weil es an nahezu keiner Straßenbahnhaltestelle einen
Ticket-Automaten gibt. Da man diese erst bei Fahrtantritt entwertet,
lohnt es sich also, ein paar auf Vorrat zu kaufen. Trotz der Tortenschlacht gingen wir am Abend noch
essen, schließlich mussten wir die Küche des Brauhauses testen, in dem
ein Teil des Familientreffens stattfinden wird. Zum Glück hatten wir
mittags bereits reserviert, denn das Essen ist sehr gut und das Lokal
entsprechend voll. Der Schweinebraten mit zweierlei Kraut und Knödeln
war unglaublich gut, Marks Schnitzelrolle ebenfalls… Unser letzter Tag begann wie die übrigen. Nach dem
Frühstück fuhren wir erneut zur Burg, was außer uns leider auch noch ein
paar tausend andere Touristen taten. Zum Wachwechsel standen fast so
viele Menschen auf dem Platz vor dem Tor wie auf dem Petersplatz bei der
Mittwochsaudienz des Papstes. Der Dom war nicht weniger gut besucht wie
Sankt Peter, und selbst in den etwas abgelegenen Gebäuden tummelten sich
noch zahlreiche Touristen. Seit ein paar Jahren sind die Tschechen dazu
übergegangen, Eintritte zu erheben. Für das Vergnügen, sich ein paar
Meter von Dutzenden Menschen aus aller Welt durch das Goldene Gässchen
schieben zu lassen und die kitschigen Auslagen in den Souvenirläden
links und rechts zu bewundern, muss man nun umgerechnet zehn Euro
berappen. Da wir sowohl den Dom als auch das Gässchen bereits
kannten, haben wir darauf verzichtet und uns lieber den Nachbau des
Loreto-Heiligtums angesehen, der nicht ganz so überlaufen war.
Allerdings kostete das nicht nur Eintritt, was angesichts der hohen
Kosten für die Instandhaltung ja durchaus gerechtfertigt ist, sondern
noch eine fast ebenso hohe Gebühr, damit man fotografieren darf… Gegen Mittag waren wir wieder zurück im Hotel, um uns
frisch zu machen, denn am Nachmittag waren wir bei Verwandten von Mark
G. zum Kaffee eingeladen. Am Abend gingen wir noch ein letztes Mal essen
(Schweinebraten und gefüllte Knödel) und flanierten dann in der
Dunkelheit durch das romantisch beleuchtete Prag, begleitet von mehreren
Nieselregenschauern. Am Sonntag ging es wieder zurück in die Heimat – nach einem kurzen Zwischenstopp bei weiteren Verwandten. Nach vier Tagen Prag waren wir nicht genudelt, sondern eher geknödelt und gewillt, nach so vielen fleischlichen Speisen eine Weile vegetarisch zu leben. So lecker all die Braten und Soßen, das Kraut und die Knödel auch sind – natürlich möchte man vor Ort auch die landestypischen Speisen genießen – die Waage bringt es unweigerlich an den Tag. |
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