16. Juli 2007
Als "Mittelalter" kann ich mich noch
gut daran erinnern, wie im Sommer 1985 der bundesweite Filmstart
vom Freitag auf den Donnerstag vorgezogen wurde und dieser
Schritt wurde von den Kinos und Euch Filmverleihern landesweit
vollzogen. Zwei Jahrzehnte später sind wir wieder in den 50er
Jahren gelandet: Die Filme starten wieder an jedem Tag der
Woche...
Kinobesitzer stöhnen darüber, dass
sie keine regulären Spielwochen mehr planen können und die
Zeitungsinserate immer unübersichtlicher werden, und Kinobesucher
können sich nicht mehr darauf verlassen, dass der Film,
den sie sehen wollen, auch tatsächlich noch bis Mittwoch auf
einer Leinwand zu sehen ist. Einzig die Spediteure können sich
über viele Sonderfahrten freuen...
Bitte versteht mich nicht falsch.
Ich bin voll dafür, dass man in dieser Branche flexibel
ist und die Feiertage "mitnimmt". So war die Entscheidung Sonys
goldrichtig, Spider-Man 3 schon am Tag der Arbeit zu
starten (na ja, eigentlich war's ja der Vorabend der Arbeit, da
die ersten Vorstellungen schon am 30. April um 20.00 Uhr
stattfanden). Auch halte ich es für sinnvoll, den Tag der
deutschen Einheit, der dieses Jahr auf einen Mittwoch fällt, zu
nutzen und Filme wie Ratatouille, schon am 3. Oktober zu
starten. Es steckte auch viel Logik darin, Das Omen 666
am Dienstag, den 06.06.06 zu starten.
Auch bei den ganz, ganz großen
Filmen wie Der Herr der Ringe oder Harry Potter
kann es Sinn machen, schon früher zu starten, um Kapazitäten zu
schaffen (beim aktuellen Harry Potter-Film war es sogar
ein ausgesprochener Glücksfall, schon am Mittwoch zu starten, da
an dem Tag noch schlechtes Wetter war - ab Samstag gingen die
Besucherzahlen wegen Sommerhitze baden).
Aber in allen anderen Fällen sind
ein vorgezogener Start oder Vorpremieren von B-Filmen völlig überflüssig und dienen weder
Publikum noch Kinomachern, einzig die Besucherzahlen werden
geschönt und nicht existierende Bestmarken verkündet. Und da
neue 4-Tage Rekorde inzwischen in 4 1/2, 5, 6 oder 6 1/2 Tagen
erzielt werden, wächst der Konkurrenz- und Rekorde-Druck unter
Euch noch weiter an, so dass wir sicherlich bald einen neuen
4-Tage Rekord haben werden, der in zehn oder zwanzig Tagen
erzielt wurde...
Dies führt mich zu einem aktuellen
Beispiel: Letzte Woche war in der Online-Ausgabe einer
deutschen Fachzeitschrift zu lesen, dass Harry Potter und
der Orden des Phönix laut Angaben des Verleihs mit
865.000 Besuchern am Donnerstag den besten Starttag aller
Zeiten erzielt hat. Natürlich wissen alle fachkundigen Menschen
dieser Branche, dass die ersten Vorstellungen landesweit schon
am Dienstag um 24.00 Uhr begannen. Unbemerkt von der deutschen
Öffentlichkeit hatte der Donnerstag also (wieder einmal) 48
Stunden (der gleiche Verleih hatte Ähnliches schon zum Start des
vierten Potters verkündet)...
Aber warum herrschen nur in
Deutschland solche Unsitten? In allen unseren Nachbarländern und
auch im Mutterland der fünf Großverleiher werden die Box Office
und/oder Besucherzahlen säuberlich nach Tagen und Previews
getrennt. Da käme niemand auf die Idee, die $8,8 Mio., die
Transformers am Montagabend eingenommen hat, dem Dienstag
zuzuschlagen. Oder das $62,6 Mio.-Einspiel vom Mittwoch und
Donnerstag von Harry Potter und der Orden des Phönix dem
Freitag zuzuschlagen. Ob Dänemark, Polen, Tschechien,
Österreich, Schweiz, Frankreich und Niederlande, in all diesen
Nachbarstaaten gibt es "ehrliche" Zahlen, warum ist dies bei uns
nicht möglich?
Besonders peinlich wird's
dann wieder beim aktuellen Beispiel: In der Online-Ausgabe einer
britischen Fachzeitschrift hat der internationale
Mutterverleih von Harry Potter und der Orden des Phönix
die deutschen Besucherzahlen des eigentlichen Starttags (also
des Mittwochs) mit 404.000 Besuchern angegeben. Wieso
muss man ausländische Magazine lesen, um tatsächliche deutsche Zahlen
zu bekommen? Anstatt sich darüber zu freuen, dass der fünfte
Harry Potter-Film in den ersten zwei Tagen etwa 40 % mehr
Besucher hatte als der vierte Teil im gleichen Zeitraum, gibt es
diese Humbug-Meldung vom Rekord-Starttag.
Auch hier bitte nicht falsch
verstehen: Ich schieße mich jetzt nicht speziell auf diesen
einen Verleih ein, schließlich habt Ihr schon fast alle solche
Meldungen verbreitet. Aber diese unehrlichen Angaben
können auch noch unsägliche Folgen haben. Was meint Ihr, wie
der Verbraucherschutz oder andere Behörden reagieren würden,
wenn der Autobauer WMB gegenüber der Presse erklären
würde, sein Modell HP5 beschleunigt in vier Sekunden von
Null auf Hundert und braucht dafür aber in Wirklichkeit acht Sekunden...
Letztes Jahr habe ich
Euch darauf hingewiesen, dass Ihr uneinheitliche Meldungen
bezüglich der Kino/Kopienzahlen in Umlauf bringt. Zwei Monate
später habt Ihr Euch auf ein einheitliches System geeinigt.
Vielleicht trägt dieser neue offene Brief ebenfalls zu einem
weiteren Ruck bei...
Es wäre schön, wenn Ihr wieder zu
einem einheitlichen Starttag zurückfinden würdet
(ausgenommen Feiertage). Falls Ihr Euch weiterhin daran stört,
dass die meisten Kinos am Donnerstag ermäßigte Preise anbieten,
dann wäre es auch nicht weiterhin schlimm, wenn Ihr einen
einheitlichen Starttag am Mittwoch (wie in Frankreich) einführt
- Hauptsache es ist einheitlich und es gibt keine Aushöhlung
durch überflüssige Previews (wenn 90 % der Filme Previews am
Mittwoch Abend haben, ist der Reiz des Besonderen natürlich
weg)...
Außerdem wäre es schön, wenn Ihr
einheitliche Richtlinien zu Euren Box Office bzw.
Besucherzahlen festlegen würdet. Ideal wäre natürlich ein durch
und durch ehrliches System wie es in ALLEN UNSEREN
NACHBARLÄNDERN UND DEN USA herrscht, also strikte Trennung von
Previews vor Mitternacht und Vorstarts an anderen Tagen als dem
einheitlichen Starttag (zur Erinnerung, das war mal der
Donnerstag).
Übrigens könnte der
letztgenannte Punkt den vorangegangenen Punkt bewirken. Wenn
man die ganzen Vor-Donnerstagszahlen nicht mehr in die Zahlen
vom Wochenende einfließen lassen kann, dann sind viele Vorstarts
(zum Aufpäppeln der Zahlen) schlichtweg nicht mehr nötig...
Deswegen liebe Verleiher, im
Interesse der Kinos, der Besucher und der Ehrlichkeit, einigt
Euch doch auf das Richtige!
Und wenn Ihr schon dabei seid, dann
verzichtet doch auch noch auf die (wahrscheinlich eh geringen)
Einnahmen, die Ihr aus der Lizenzierung der Kino-Charts gewinnt. Denn ich
bin mir sicher, dass tausende deutsche Websites, Zeitungen und
Zeitschriften liebend gerne die wöchentlichen Kino-Top Ten abdrucken/veröffentlichen
würden (inklusive dieser Website), aber wegen der überzogenen
Lizenzgebühren darauf verzichten. Und so wird ein wertvolles
Marketinginstrument, das der gesamten Branche zugute kommen würde,
immer noch nicht genutzt...
Aus Liebe zum Kino,
Euer Mark G.
P.S.
Wie immer ist jede Mail zum Thema
willkommen und wird auf dieser Seite veröffentlicht.
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